“ Messies“ können nichts wegwerfen und leben im Chaos
Berge von alten Zeitungen, leere Flaschen, Essensreste und Geschirr türmen sich . Oft ist nicht einmal genug Platz zum Durchgehen, die gesamte Wohnung ein riesiger Müllhaufen. Vermüllungssyndrom nennt man dieses Krankheitsbild der Psyche, das nichts mit „normaler“ Unordnung oder schlampigkeit zu tun hat.
Betroffene brauchen professionelle Hilfe, um einen Weg aus dem Chaos zu finden.
„Räum doch auf!“ – diese Aufforderung nützt bei Menschen mit Vermüllungssyndrom nicht. Im Gegeteil, die „Messies“ ( mess bedeutet Chaus, Unordnung) fühlen sich dadurch unter Druck gesetzt, ohne dass sie dem Zwang zum Sammeln entkommen können.
Der Hamburger Psychiater Dr. Peter Dettmering hat sich seit den 80er Jahren mit dieser Störung auseinander gesetzt und den Begriff Vermüllungssyndrom geprägt: Betroffene sammeln alles, was ihnen in die Hände kommt und schaffen es nicht, etwas wegzuwerfen. Sie können sich oft von den unnsinnigsten Dingen nicht trennen.
Angst, und fehl geleiteter Kontrollmechanismus
„Mir ist zum Beispiel ein Fall bekannt, bei dem eine Frau die Etiketten von Nahrungsmittelpackungen ausgeschnitten und aufgehoben hat“, so Dr. Eva Mückstein, Vizepräsidentindes österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP) in Wien. „Diese Probleme fallen in den Bereich der Zwangsstörungen. Wir sprechen von fehlgeleiteten Kontrollmechanismen und Angstabwehr auf Grund früher Beziehungsprobleme und mangelnder Selbstbehauptung.“
Das Verhalten in Beziehungen ist oft widersprüchlich. Zum einen ziehen sich Messies zurück und distanzieren sich vom Partner, auf der anderen Seite möchten sie sich behaupten und ihr Terrain erobern.
Wenn kleine Kinder lernen, haben sie zunächst Angst und wiederholen Handlungen oder Situationen so lange, bis sie ihnen bekannt sind und nicht mehr beunruhigen. Dr. Mückstein: „Messies unterliegen dem Zwang nicht mehr mit dem Wiederholen von Handlungen aufhören zu können. So unglaublich das klingen mag, das unaufhörliche Sammeln, gibt ihnen Sicherheit und sie bauen auf diese Weise Ängste ab. Wir sprechen von einem Rückgriff auf kindliche Angstbewältigungsmechanismen.“
Um diesen Teufelskreis zu entkommen, brauchen Betroffene gezielte Therapie. Es muss nicht nur die Wohnung, sondern auch die Seele aufgeräumt werden . Angehörige, Partner und Freunde leiden oft sehr unter dem chaotischen Leben, können aber, weil sie dem Betroffenen nahestehen, meist am wenigsten helfen. Aber sie können dazu beitragen, dass Messies einsichtig werden und sich in Behandlung begeben: Verständinsvoll reagieren, keinen Druck machen, die Sammelwut vorsichtig hinterfragen, zuhören.
Dr. Mückstein: „In der Therapie müssen die Wurzeln der Störung erkannt, alternative Verhaltensweisen erarbeitet werden.“
Neben dem Vermüllungssyndrom har der deutsche Psychologe Werner Gross, Leiter des Psychologischen Forums Offenbach noch drei weitere Messie-Typen festgestellt:
„Zeit Chaoten“ kommen immer zu spät oder vergessen dauernd Termine
„Chaos Arbeiter“ beginnen ständig Neues aber bringen nichts zu Ende
„Ich Chaoten“ irren zwischen Themen, Trends und Interessen umher, ohne richtig bei der Sache zu bleiben
Werner Gross berichtet, dass viele Messies selbst aus einer „Chaos Familie“ kommen, in der keine richtige Lebensstruktur geherrscht hat. Andere wieder seien in einem „klinisch sauberen“ Haushalt aufgewachsen und protestieren dann auf diese Weise.
Mit vier Kisten endlich Ordnung schaffen
In leichten Fällen können einsichtige Messies zunächst selbst versuchen die Probleme in den Griff zu bekommen und sich kleine Ziele setzen. Wie etwa das Kaffehäferl nicht irgendwo abzustellen, sondern gleich auszuwaschen.
Um Ordung zu schaffen empfiehlt die amerikanische Gründerin der „Anonymen Messies“ das Vier-Kisten-Prinzip: In eine kiste kommt alles, was eigentlich zum Wegwerfen ist. In die zweite, was man verkaufen oder verschenken kann. Die dritte füllt man mit Gegenständen, bei denen man sich noch entscheiden kann. Die letzte ist jenen Dingen gewidmet, die man unbedingt behalten will. Wichtig ist: Für alles, was in eine Kiste hinzu kommt, muss etwas anderes hergegeben werden.
Gelesen in Kronen Zeitung / Gesund 04.12.2004